Dorothea Eimert
Schnell, Kunstführer Nr. 1160
VERLAG SCHNELL & STEINER . MÜNCHEN/ZÜRICH
Erste Auflage 1979
ST. HUBERTUS IN KÖLN-FLITTARD6.3
Patrozinium 3. November
Die Pfarrkirche St. Hubertus in KöIn-Flittard ist zu einer
Besonderheit geworden, zu einer Kostbarkeit wegen ihrer
künstlerischen Ausgestaltung durch den Maler Hermann
Gottfried. Dieser 1929 in Düren geborene Maler, der heute in
Bergisch-Gladbach lebt6.4, gehört seit Jahren zu den wenigen Künstlern, die es
gewagt haben, großflächige Wandbilder zu malen, ja eine ganze Kirche
mit Malereien auszugestalten.
GESCHICHTE
Die Gründung der Kirche zu Flittard, einem Stadtteil Kölns am rechten
Rheinufer, ist wohl kaum vor dem 9. Jahrhundert gewesen6.5. Eine erste
urkundliche Erwähnung der Pfarre findet sich in zwei Urkunden des
Erzbischofs Everger aus dem Jahre 989, deren Echtheit jedoch angezweifelt
wird. Die erste nachweisbar sichere Erwähnung stammt aus dem Jahre
1022, als Erzbischof Heribert den Benediktinern von St. Martin in Köln die
Pfarrkirche in Flittard schenkte. 1330 schließlich wurde die Pfarrkirche der
Abtei St. Martin inkorporiert.
Architektonisch bietet sich heute folgendes Bild: An den romanischen
Turm der Kirche schließt sich ein dreischiffiges neoromanisches
Kirchenschiff an. Der Turm aus Tuffstein mit seiner Gliederung durch Lisenen
und Rundbogenfriese stammt in seinem unteren Teil aus dem 9.
Jahrhundert, in seinen beiden oberen Geschossen aus der Zeit um 1200; der
Turmhelm ist eine Erneuerung von 1949. Das Kirchenschiff wurde im Jahre
1897 fertiggestellt; Architekt war Theodor Kreuzer.
FÜHRUNG
Der Innenraum der Kirche wurde 1976/77 farblich neu gefaßt, mit
Malereien und neuen Fenstern ausgestattet. Thema der figürlichen Ausmalung
ist ''Weg des Herrn - Weg des Heils''. Betritt man von
Nordwesten die Kirche und durchschreitet sie nach Osten, wird man auf der
Nordseite von einem Figurenband mit der Darstellung des Kreuzweges
begleitet und auf der Südwand von ineinandergreifenden Szenen mit der
Darstellung der sieben Sakramente. Über diese beiden Wegbänder mit
Kreuzweg- und Sakramenten-Schilderung wird der Besucher zum
thronenden Christus, zum Herrn, in der Chorkalotte geleitet, der in der Apsis
von 14 Heiligen umringt ist. Das Programm und die malerische Gestaltung
des Chores ist folgendermaßen zu beschreiben: Der Erhöhte,
dargestellt in der Apsiskalotte und umgeben von den vier Evangelisten, den
Verkündern des Weges des Herrn in Gestalt der tradierten Symbole,
sendet seinen Geist herunter zu den Heiligen und zu uns Menschen; der
Maler hat dies in Form von Tropfen gekennzeichnet. Die andere,
malerisch deutbare Bewegung steigt von den Heiligen zu Gott empor. Über
einer Postamentzone, aus der ein Rotton hinauf zu den Heiligen zieht,
sich dort bei einigen Figuren verfestigt und sich dann wieder zerstäubt,
malte Hermann Gottfried die Sockel der Heiligenfiguren in Schleifenform
als nicht statischer, sondern wogend schwebender Standgrund der
Heiligen, die sich elegant schwebend, fast entmaterialisiert darauf bewegen.
Es ist eine sich allmählich von unten nach oben steigernde, auflodernde
Bewegung, die sich jedoch nicht auflöst, sondern immer gefaßte Form
bleibt.
Der thronende Christus ist als Herrscher, als Erhöhter, als beim Jüngsten
Gericht Wiederkehrender dargestellt, zugleich aber auch als derjenige,
der am Kreuze für uns gestorben ist. Sowohl die Aureole als auch das
Gewand sind von der Kreuzesform bestimmt. Die Kreuzesform des
Gewandes erscheint entmaterialisiert in seidig schimmernder Farbigkeit
und bewegter Formschichtung. ''Mit dem Kommen des Herrn zum Gericht wird
auch die Schöpfung vollendet; sie wird umgestaltet in den neuen Himmel
und die neue Erde. Die Vorstellung des neuen Himmels und der neuen
Erde hat der Maler mit der Fensterzone verbunden'', interpretierte Pfarrer
Fritz Frank, der auch für das Gesamtthema der Ausmalung verantwortlich
zeichnet. ''Die Vegetation - Pflanzen, Blumen, Bäume - lebt in den
Chorfenstern. Die Architektur - Häuser, Mauern, Gebäude - ist durch die
Säulen und Zwischenräume angedeutet. Wenn die Erlösung vollendet ist,
werden alle Erlösten in der Gemeinschaft der Heiligen versammelt sein.
Stellvertretend für sie werden 14 Heilige in der Apsisrundung hinter dem
Altar dargestellt. Darunter Heilige von allgemeiner Bedeutung, Kölner
Heilige, moderne Heilige wie Edith Stein und Maximilian Kolbe und
Heilige, zu denen die Pfarrgemeinde eine besondere Beziehung hat. Sie fügen
sich gleichsam ein in den Kreis der circumstantes, in den Kreis der
Gemeinde, die sich um den Altar schart.''
Die Reihenfolge der Heiligen von Links nach rechts ist:
Hl. Nikolaus,
Hl. Ursula,
Hl. Martin,
Hl. Hubertus,
Hl. Elisabeth,
Hl. Hermann-Joseph,
Hl. Vinzenz,
Albertus Magnus,
Petrus Canisius,
Edith Stein,
Maximilian Kolbe,
Pius X.,
Fridolin und ein noch nicht benannter Heiliger.
Die lebendig durchfluteten Heiligenfiguren verharren in beschaulicher
Stille. Es sind sonnendurchleuchtete Figuren in schwebend entmaterialisierter
Form. Ihre fast überschlanken Hände in exaltierter Haltung entsprechen
dem ausdrucksstarken fast mystisch verklärten Gesichtsausdruck. Er wird
vor allem durch die großen dunklen Augen bestimmt. Die
Augenflächen tragen keine Farbe an sich, keinen Ausdruck an sich, lassen
alles offen, bergen zugleich aber alles in sich. Auf diese Weise sind die
Heiligen als dem Alltäglichen Entschwundene, als Wissende, als in
mystischer Tiefe Versunkene charakterisiert.
Die Heiligen im Chor sind durch Attribute zaghaft gekennzeichnet. Der
Hl. Ursula sind die Türme des Kölner Dorns, dem Hl. Martin am Fuße die
Szene der Mantelteilung beigefügt. Hubertus mit Bischofsstab und Mitra
trägt im Heiligenschein andeutungsweise den Skelettkopf eines Hirsches.
Doch kann dieses Sonnen- und Schattenspiel der Farbstufungen auch ein
Sonnenblätterspiel des Waldes sein. St. Elisabeth ist durch Blumen
gekennzeichnet, die ihr leichtes Gewand überziehen. Weiche Formen und
lyrische Bewegung charakterisieren ihre Wesen. Daneben steht
Hermann-Joseph, ihm gegenüber Vinzenz. Beide bilden den Zentralpunkt
der Konche. Ihre Gewänder sind nicht so weich und anmutig, nicht so
geschmeidig gemalt wie das von Elisabeth. Ihre Gewandfalten sind
geometrischer, fast kubenhaft. Gerade in der Gegenüberstellung dieser
Gewandformen der beiden männlichen Heiligen zeigt sich deutlich die
äußerst differenzierte Sprachmöglichkeit des Malers Hermann
Gottfried.
Hermann-Josephs Gewand ist durch rötlich und bläulich schimmernde Farbflächen
gegliedert, die in Farbabstufungen sich bahnenförmig hinabziehen.
Vinzenz' Gewand dagegen erscheint prismatisch bläulich glänzend.
Die Farben brechen sich in sanftem Blauschimmer und bilden ein fast
durchsichtiges, gleichsam knitterhaftes Formgefüge.
Farbfläche steht neben Farbfläche, ohne Kontur der Linie.
Dadurch entsteht ein lebhaftes Farbengewoge. Die Figuren stehen nicht
eng umgrenzt vor einem Hintergrund oder abgegrenzt nebeneinander, vielmehr
entsteht ein lebhaftes Ineinander der Farben des Hintergrundes und der
Figuren. Die Figuren und der Hintergrund werden von denselben
Farbklängen und Formformationen getragen, sind eine Harmonie. Vibrierend
schillernde Farbstufungen und Farbschichtungen, Farbklänge legen sich
übereinander und nebeneinander, überlagern sich und bilden neue
Formeinheiten. Eine Figur steht nicht unbeweglich oder exakt umschrieben
neben der anderen. Vielmehr sind alle Heiligen ergriffen von dem einen
pulsierenden Strom göttlichen Lebens. Sie stehen im Kräftefeld göttlicher
Ausstrahlung, werden davon durchdrungen und durchflutet. Keine Form
wiederholt sich im gewaltigen Wogenmeer. Jedes Detail ist anders, lebt
für sich allein und doch wieder mit den anderen Formungen im
allgemeinen Wogenstrom.
Der Maler hinterließ hier seine expressive, exaltierte Handschrift,
von der dennoch große Ruhe und Harmonie ausströmt. In dieser Farb-
und Formharmonie ist die ganze Kirche gestaltet. Das Band des
Kreuzweges und das der Sakramente, die sanft bemalten Kapitelle, der
Beichtstuhl, die Orgel und die Fenster. Als einziger Ausbruch aus diesem fast
pastellen wirkenden Farbklang erscheint zunächst die rote Akzentuierung um
die Muttergottes an der südlichen Seitenschiffstirnwand. Doch ist es kein
Ausbruch im eigentlichen Sinn. Vielmehr ist das Rot aus der Sockelzone
des Altarbereichs am Marienaltar nochmals konzentriert aufgenommen,
um dessen Bedeutung hervorzuheben. Das Wandbild ist zum Bestandteil
der Architektur geworden. Es richtet sich nach den Gegebenheiten der
Architektur. Die vorgegebenen Rundungen hat Gottfried in den Malstil
aufgegriffen. Eckige Formen kommen nur untergeordnet vor. Figuren und
Ornamente betonen die architektonischen Formgegebenheiten, machen
sie deutlicher, werden eine Einheit mit ihr, so daß St. Hubertus in
Köln-Flittard durchaus als Gesamtkunstwerk angesprochen werden kann.
Auch die Fenster der Kirche zu Flittard, die ebenfalls Hermann Gottfried
schuf und deren Ausführung der Glaswerkstätte Dr. Oidtmann in Linnich
oblag, gliedern sich harmonisch und wie selbstverständlich in den
allgemeinen Farbenduktus und Formenkanon ein. Zarte Differenzierungen und
feingliedrig variierte Strukturen kennzeichnen auch die Glasmalereien.
Gerade im Chorbereich zeigt sich die Ideenvielfalt der neuen
Formfindung und gleichzeitigen Einordnung in die architektonischen und eigenen
malerischen Gegebenheiten. Von den Fenstern gleitet die Tropfenbewegung,
die von dem Bereich um die Christusgestalt ausgeht, weiter hinunter zu
der Wandgestaltung mit den Heiligenfiguren. Ornamentverzierungen an
den Fensterrahmungen unterstützen das architektonische Gefüge.
Die Architektur begleitend wirken auch die Farbbänder im Chor und an den
beiden Seitenschiffwänden. Dieses lebendige Farb- und Formengewoge ist in
seiner Abgrenzung nach oben nicht exakt gezogen; vielmehr wölben sich
Ornamentfiecken, die in ihrer ornamentalen Funktion den Knospen der
Chor-Kapitelle nachempfunden sind, aus der starren Abgrenzungslinie
heraus. Das Programm der nördlichen Seitenschiffwand ist der Kreuzweg
mit seinen 14 Stationen. Zeit- und ortsbezogene Elemente wie moderne
Häuserfassaden und der Rhein geben dem Kreuzweggeschehen gegenwärtige
Realität. Das gemalte Kreuzwegband mündet in die Konche des
Seitenschiffes, in der das Tabernakel steht, das der Kölner Bildhauer
Hein Gernot 1967 schuf und für das Udo Grundmann die 100 Elfenbeinreliefs
schnitzte.
Programm des südlichen Seitenschiffes sind die sieben Sakramente. Durch biblische Szenen sind sie hier deutbar dargestellt. An der
Wand hinter dem Taufstein des 12. Jh. aus Namurer Blaustein sind die
beiden Sakramente der Taufe und der Firmung gegeben; illustrierende Szenen
sind die Taufe Jesu im Jordan und das Pfingstgeschehen. Es folgen links neben
dem Beichtstuhl die Sakramente der Heilung, die Buße und die
Krankensalbung. Die biblischen Begebenheiten hierzu sind der im See Genezareth
versinkende Petrus, dem Jesus die rettende Hand entgegenstreckt,
der verlorene Sohn, das Gespräch Jesu mit der Ehebrecherin und dann
eine Szene, die als der barmherzige Samariter, aber auch als Spendung
der Krankensalbung durch einen Priester gedeutet werden kann.
Es schließen sich die beiden theologisch zugeordneten Sakramente der
Priesterweihe und der Eucharistie an, dargestellt durch das Opfer des
Melchisedek, durch den lehrenden Christus sowie durch das Lamm Gottes mit
Kreuz, dessen Blut in einem Kelch gesammelt wird, was auf die Eucharistie als
Opfer und als Mahl hindeutet. Als letztes Sakrament ist durch
zwei biblische Szenen die Ehe verbildlicht, einmal durch Adam und Eva,
zum anderen durch die Hochzeit zu Kana. Den Abschluß des Sakramentenbandes
bilden Abraham und David; im Alten und Neuen Testament
wird Jesus als Nachkomme Abrahams und Davids genannt. Sie sind
Überleitungsbilder zur Seitenschiffkonche. Hier thront die polychromierte
rheinische Madonna der späten Romanik, die dem 13. Jh. zugeschrieben
wird (restaurative Ergänzungen aus der Zeit nach 1950 sind das Kind, Hand
und Szepter sowie Krone). Hermann Gottfried ummalte den Madonnenbereich mit
der Darstellung des Freudenreichen Rosenkranzes.
Auf der südlichen Chorwand im Altarbereich illustrierte der Maler die
Vision des ewigen Friedens des Propheten Jesaja. Völkerscharen drängen
zum Berg des Herrn. Über der Sakristeitür ist das Letzte Abendmahl
gemalt; Christus erwächst dabei aus der Kreuzesform. Die Rauchwolke der
Zerstörung, in deren Hintergrund die Kölner Domtürme erkennbar sind,
verwandelt sich allmählich zum Öbaumzweig.
Die gegenüberliegende nördliche Chorwand zeigt als Weiterleitung
der nördlichen Seitenschiffdarstellung mit dem Kreuzweg die Vollendung,
nämlich den Erstandenen mit den Zeugen der Auferstehung, denen
Christus erschienen ist. Ganz oben im Gemälde ''500 Brüder auf einmal'',
darunter die 12 Apostel mit Thomas, der den Erstandenen berührt, dann
Paulus, dem Jesus auf dem Weg nach Damaskus erschien, gegenüber
Petrus und Johannes auf dem Weg zum Grabe. Zu Füßen des Auferstandenen
befinden sich die Emmaus-Jünger. Wie auf einem Bildteppich hat
der Maler Hermann Gottfried alle Begebenheiten der Auferstehung
gleichzeitig geschildert. Über 60 Köpfe und Figuren sind in diesem Gemälde
vereint, dem trotz der Fülle der Inhalte, Formen und Farben geborgene
Ruhe entströmt. Mit scheinbar unbekümmerter Selbstverständlichkeit hat
der Maler auch hier intuitiv die angemessene Form der Aussage und der
formalen Gliederung gefunden.
Dorothea Eimert
Literatur: